Gewaltfreie Kommunikation (gewaltlose/bewusste Kommunikation)
Konflikte gehören zu unserem Alltag, sowohl im Privat- wie auch im Berufsleben. Häufig sind sie unterschwellig und nicht immer gleich für jeden erkennbar. Natürlich sind Konflikte nicht generell negativ und können durchaus dynamische Prozesse in Gang setzen. Zumindest, so lange sie sich auf einer konstruktiven Ebene abspielen. Doch eine sachdienliche Diskussion kann im Job schnell durch Zeitdruck oder persönliche Differenzen erschwert werden und Aufgaben werden nicht mehr fach- und zeitgerecht erledigt. Wie diese Konflikte gelöst werden, hängt immer von den Beteiligten und deren Fähigkeiten zur Konfliktlösung ab. Dabei kommt es nicht zu letzt auf eine gute Kommunikation, eine reflektierte Sprache und ein gesundes Maß an Empathie an.
Schauen wir uns mal dieses nicht untypische Beispiel an. Vielleicht kommt es dem ein oder anderen ja aus seiner Arbeitsumgebung bekannt vor.
In einem Meeting findet ein Kollege einfach kein Ende. Statt über das anstehende Projekt zu reden, verliert er sich in Einzelheiten seines letzten Urlaubs und von seinen Erlebnissen am Wochenende. Außerdem schweift er immer weiter ab und verliert sich in sinnlosen Details des Projekts. Somit nimmt das Meeting viel mehr Zeit als geplant in Anspruch und ich ärgere mich, weil ich nun länger als erwartet arbeiten muss.
Abends hört mein Unmut noch nicht auf und ich beschwere mich beim Abendessen mit Freunden über das unmögliche Verhalten. Aber auch der Chef bekommt im gleichen Atemzug sein Fett weg. Mal wieder hatte er seine typischen „Verbesserungsvorschläge“, hat immer was zu nörgeln und lässt uns die Arbeit nicht vernünftig machen.
Doch während ich mich darüber aufrege, scheinen die Konflikte mich immer wieder einzuholen. Bereits vor dem nächsten Meeting habe ich schlechte Laune und das Arbeitsklima wird immer distanzierter.
Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf. Damit die vorherrschende Unzufriedenheit nicht zu einem Konflikt ausartet, sollte zeitnah eine Lösung zur Verbesserung der Situation gefunden werden.
Gewaltfreie Kommunikation Nach Marshall B. Rosenberg
Der amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg entwickelte für eine verbale Konfliktlösung die „Gewaltfreie Kommunikation“ (kurz GFK genannt). Häufig wird dabei auch von der gewaltlosen Kommunikation bzw. bewussten Kommunikation gesprochen. Mit der Strategie der GFK soll auch in einem Konfliktfall die respektvolle Verbindung zu anderen Menschen gewahrt und ein Streit konstruktiv aufgelöst werden.
Marshall Rosenberg geht davon aus, dass jedes Gefühl ein Hinweis auf ein erfülltes oder unerfülltes Bedürfnis ist. Durch einen offenen Umgang mit Gefühlen und Bedürfnissen kann das Bedürfnis an sich als Schlüssel zur Konfliktlösung verstanden werden. Dabei spielt Kommunikation eine essentielle Rolle.
Die GFK besteht aus nur vier einprägsamen Schritten und ist wegen dem einfachen Aufbau sogar für Kinder einfach zu erfassen. Ähnlich wie beim Erlernen einer Fremdsprache ist es notwendig Kenntnisse der Grammatik (die Schritte der GFK) und die Vokabeln (Wortschatz der Gefühle und Bedürfnisse) zu lernen und zu verstehen.
Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation sind:
1) Beobachtung/Wahrnehmung
2) Gefühl
3) Bedürfnis
4) Bitte
Schauen wir uns diese vier Schritte genauer an und versuchen zu verstehen, was sich dahinter verbirgt:
1) Beobachtung
/Wahrnehmung: Was sehe ich? Was höre ich?
Ich versuche möglichst frei von Wertung und konkret eine Handlung oder Situation zu beschreiben. Eine Beobachtung ist dann bewertungsfrei, wenn auch mein Gegenüber meiner Aussage zustimmen kann.
Ein Sprachmuster kann sein: Wenn ich sehe,…/ Wenn ich höre,…
2) Gefühl: Wie geht es mir?
Ich kommuniziere meine Gefühle mit Blick auf die konkrete Handlung oder Situation. Dabei ist es wichtig, dass ich für meine eigenen Gefühle durch Ich-Botschaften Verantwortung übernehme und keine Anschuldigungen erhebe.
Ein Sprachmuster kann sein: Ich fühle mich…/ Ich bin…
3) Bedürfnis: Was brauche ich?
Ich formuliere, welches Bedürfnis bei der konkreten Handlung oder Situation unerfüllt ist.
Ein Sprachmuster kann sein: Weil ich…brauche./ Weil ich mir wünsche,…
4) Bitte: Wie kann mein Bedürfnis erfüllt werden?
Ich bitte mein Gegenüber um eine erfüllbare Handlung. Eine Bitte ist keine Forderung und somit ergebnisoffen. Demnach kann eine Bitte auch abgelehnt werden.
Ein Sprachmuster kann sein: Ich möchte bitte… Bist du bereit…?
Als allgemeines Sprachmuster der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg versteht sich der folgende Satz als Musterbeispiel, an dem sich gut orientiert werden kann:
„Wenn ich sehe, dass du A tust, fühle ich B, weil ich das Bedürfnis nach C habe. Deshalb bitte ich dich, D zu tun. Wie wäre dies für dich?“
Füllen wir dieses theoretische Konstrukt der GFK doch mit etwas Leben und versuchen es auf unser obiges Beispiel anzuwenden.
„Ich merke grade, dass wenn wir jetzt weiter über unsere Urlaube sprechen (Beobachtung/Wahrnehmung), mich das ärgert (Gefühl). Ich möchte heute noch viele Aufgaben erledigen und rechtzeitig Feierabend machen können, weil ich am Abend noch verabredet bin (mein Bedürfnis). Wärt ihr bereit, wenn wir eine halbe Stunde konzentriert ausschließlich über das Projekt sprechen (Bitte)? Später in der Mittagspause würde ich gerne mehr über deinen Urlaub erfahren, da haben wir ausreichend Zeit darüber entspannt zu sprechen.“
Es gibt viele Wege, wie wir unsere Bedürfnisse kommunizieren können. Wichtig für ein harmonisches Miteinander ist, dass wir mit unserer Sprache begründen, wieso uns etwas bewegt. So kann unser Gegenüber besser verstehen, wieso wir wie auf eine Situation reagieren.
Die Zutaten für den Erfolg der gewaltfreien Kommunikation sind also unsere Sprache (verbal und nonverbal), die Fähigkeit zur Empathie und das kommunizieren unserer Gefühle und Bedürfnisse. Eigentlich recht wenig, oder? Doch im Sinne der GFK und der bewussten Kommunikation völlig ausreichend. Natürlich braucht es wie bei einer Fremdsprache einiges an Übung, um sie richtig zu lernen. So erfordert auch diese Sprache der kommunikativen Konfliktlösung stetige Wiederholungen und Anwendung.
Eine Sache kann ich mit Gewissheit sagen: Der Aufwand lohnt sich! Habe ich das Prinzip der bewussten und gewaltfreien Kommunikation verinnerlicht, wird sie mir in vielen Lebensbereichen helfen. Ich lerne meine Mitmenschen bewusster wahrzunehmen, hinterfrage meine eigene Sprache und Art zu kommunizieren, achte mehr auf meine eigenen Bedürfnisse und bin entspannter in vielen Konfliktsituationen.
Diese wertschätzende Kommunikation nach Marshall Rosenberg ist natürlich nur eine Möglichkeit von vielen, um Konflikte zu lösen. Damit es erst gar nicht zu einem Konflikt kommt, sollten wir unsere generelle Kommunikation einmal hinterfragen. Denn sehr oft reden wir miteinander, ohne dies wirklich reflektiert zu tu.
Die vier Seiten einer Botschaft
Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg kann in diesem Sinne leicht durch weitere Kommunikationsmodelle unterstützt werden. So zum Beispiel durch das Vier-Seiten-Modell nach Friedemann Schulz von Thun, was auch unter dem Vier-Ohren-Modell oder dem Kommunikationsquadrat bekannt ist. Schulz von Thun geht hierbei davon aus, dass jede Aussage auf vier verschiedene Weisen interpretiert werden kann. Dabei kann eine Aussage die Sachebene besitzen, die Ebene der Selbstoffenbarung, die Beziehungsebene und die Appellebene.
In der Sachebene informiert der Sender (der Sprecher) allein über den Inhalt, also beispielsweise Daten und Fakten. In der Selbstoffenbarung gibt der Sender etwas von sich und seiner Persönlichkeit zu erkennen. Bei der Beziehungsebene gibt der Sprecher zum Ausdruck, wie er sich im Verhältnis zu seinem gegenüber sieht und was er von ihm hält. Die Appellebene gibt an, was der Sender beim Empfänger der Aussage erreichen möchte.
Da Kommunikation selten nur monodirektional abläuft, also nur in eine Richtung, muss hierbei auch auf den Empfänger der Aussage geschaut werden. Denn auch er interpretiert die Nachricht auf eine der vier Ebenen. Möchte der Sender etwas auf der Sachebene vermitteln, der Empfänger interpretiert die Nachricht aber auf der Appellebene, kommunizieren beide auf verschiedenen Ebenen. Die Kommunikation ist gestört und kann scheitern. So besitzt eine einzige Nachricht in diesem Modell 16 verschiedene Möglichkeiten kommuniziert zu werden.
Diese Missverständnisse in der Kommunikation führen dazu, dass wir „aneinander vorbei reden“. Durch mehr Achtsamkeit bei unserer eigenen Kommunikation können wir diese Missverständnisse reduzieren. Dazu muss ich aktiv in den Kontakt gehen und bei Unsicherheit gegebenenfalls nachfragen, auf welcher Ebene mein Gegenüber aktuell mit mir kommuniziert. Reden wir vermehrt auf derselben Kommunikationsebene, können wir nicht nur besser kommunizieren, sondern auch effektiver. Ein Mehrwert für alle Beteiligten!
Der Schlüssel des Erfolgs liegt in unserer Sprache, Empathie und unseren Bedürfnissen
Fassen wir alles nochmal kurz zusammen. Um das Konfliktpotenzial in einem Team zu reduzieren, ist eine bewusste Wahrnehmung meiner Mitmenschen notwendig. Wer kommuniziert wie und auf welcher Ebene mit mir. Schaue ich auf meine Bedürfnisse und bin mir über diese im Klaren, kann ich meiner Umwelt über sie berichten und mein Handeln und meine Absichten begründen. Das führt zu mehr Transparenz und einer emphatischen Gesprächs- und Umgangskultur. Denn wollen wir am Ende des Tages nicht alle für unser Tun und Handeln gewürdigt werden? Fangen wir also bei uns an und versuchen mit positivem, aufmerksamem und einfühlsamem Beispiel voran zu gehen. Stecken wir trotz reflektiertem Sprachgebrauch doch mal in einem Konflikt, hilft uns Marshall Rosenbergs Gewaltfreie Kommunikation weiter. Wir sprechen unsere Wahrnehmung und unser damit verbundenes Gefühl an, um im Anschluss um die Erfüllung unserer Bedürfnisse zu bitten.
Mit der Gewaltfreien Kommunikation und dem Vier-Seiten-Modell haben uns Marshall B. Rosenberg und Friedemann Schulz von Thun zwei mächtige Werkzeuge mit an die Hand gegeben. Mit dem Wissen um diese leicht zu verinnerlichen Kommunikationsmodelle werden schwierige Situationen hoffentlich besser gemeistert, Beziehungen zu Kollegen wieder verbessert und Gespräche bekommen eine tiefere Ebene.